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Ehemaligen-Treffen

Immer öfter bekomme ich Post aus der Vergangenheit. Die Ehemaligen wollen mich sehen. Die ehemaligen Abiturienten … die ehemaligen Vereinskameraden … die ehemaligen Kommilitonen … die ehemaligen Ehemaligen. Komisches Wort überhaupt: „ehemalig“. Lebe ich in „Ehe“ mit meiner Vergangenheit? Bis dass der Tod uns scheidet? Und muss ich all die Vergangenheits -„Male“ für immer mit mir tragen? Ich fürchte es. Bei diesem merkwürdigen Wort „ehe-malig“ hat sich wirklich jemand etwas gedacht. Wahrscheinlich ist es ihm auf einem Ehemaligen-Treffen in den Sinn gekommen. Da stand er also: Sein Blick, etwas getrübt vom Rotwein, wanderte über die Köpfe seiner ehemaligen Schulkameraden. „Ja, der Hannes.“ (Nickt dem Hannes von weitem zu). „Scheisskopf, alter. Drecksau. Hast mich jeden Mittwoch an der Ecke abgefangen. „Zum roten Hirschen“ – hatte schon Angst, wenn ich das Schild von weitem sah. Da standst du – großer Hannes, um mich in den Arsch zu treten. Jeden Mittwoch nach der Schule. Deine rote Fresse über mir. Auch die Mädchen haben gelacht. Sogar die Lisa. Scheiss Hannes. Freut mich, dass dein Körper nun gegen den Alkohol verliert. Trittst mir nicht mehr in den Arsch. Bist kein großer Hannes mehr. Nur noch gelber Schwamm. Und doch: war der alte Hannes-Schmerz all die Jahre bei mir. Meine Ehefrau, die ich nie hatte. Mit der ich schlief und erwachte. Das Mal auf meiner Seele. Mein Ehe-Mal. Doch auch du bist ein Ehe-maliger, Hannes. Auch du.


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